Pfalzgraf Rudolf: Ein mutmaßlicher Stadtgründer im Zwielicht
Wohl im dritten Quartal des 13. Jahrhunderts wurde Böblingen von einer Siedlung zu einer Stadt ausgebaut. Erstmals nachweisbar ist der Status als Stadt dann im Jahr 1272 durch die urkundliche Erwähnung von „civibus in Bebilingen“ also von Bürgern in Böblingen. Damals gehörte Böblingen den Pfalzgrafen von Tübingen, einem Hochadelsgeschlecht, das sich nach seinem wichtigsten Sitz benannte. Wie Böblingen in deren Hände gekommen war, kann heute nicht mehr sicher nachvollzogen werden. Auf jeden Fall gehört das ursprünglich zum Machtbereich der Grafen von Calw zählende Böblingen seit dem frühen 13. Jahrhundert zum Herrschaftsbereich der Pfalzgrafen.
Wie so oft im Mittelalter kann man wenig über die Person des mutmaßlichen Stadtgründers Pfalzgraf Rudolf sagen.
Wir wissen weder wie er aussah, wann er geboren wurde, noch wann er gestorben ist. Selbst seine Ehefrau ist nicht bekannt, es wird eine Erbtochter der Grafen von Calw vermutet. Zwei Söhne mit Namen Gottfried und Heinrich sind nachweisbar. Durch Erwähnungen in Urkunden wissen wir, dass er von etwa 1251 bis 1271 regierte.
Rudolf gehörte einer Linie der Tübinger Pfalzgrafen an, welche von späteren Historikern Asperg-Gießen-Böblingen genannt wurde. Nach dem Tod seines Vaters Wilhelm zwischen 1252 und 1256 hatte Rudolf einen Besitzkomplex im Raum Tübingen sowie einen zweiten Besitzkomplex am Nordrand des Schönbuchs mit Böblingen als Zentrum geerbt. Allerdings hat er schon zu Lebzeiten seines Vaters Regierungsgeschäfte ausgeübt und nannte sich schon 1251 Graf.
Schon für Graf Wilhelm hatte Böblingen größere Bedeutung.
Er hielt sich dort immer wieder auf, wie in Urkunden nachweisbar ist. Rudolf jedoch erwählte Böblingen zu seinem Sitz, so wurde er nach seinem Tod auf lateinisch als „comes palatinus dictus de Bebelingen“ bezeichnet, also als Pfalzgraf, genannt von Böblingen. Vermutlich war es Pfalzgraf Rudolf, der die Siedlung, die neben der Burg und der Kirche bestand, zu einer befestigten Stadt ausbauen ließ. Damit bekam er einen repräsentativen Sitz und zugleich eine große Befestigungsanlage. Dies war wichtig in einer Zeit, in der viele Rechtsstreitigkeiten nicht vor Gericht, sondern in bewaffneten Auseinandersetzungen, den Fehden, ausgetragen wurden, wie sich hier noch zeigen wird. Die wirtschaftliche Bedeutung war weniger wichtig, verlief doch z. B. die wichtige Rheinstraße in einiger Entfernung von Böblingen über Dagersheim und Mauren dem Schönbuch zu. Auch wenn Rudolf der Gründer der Stadt Böblingen war, hatte er zumindest bei Ludwig Schmid, der 1853 das Standardwerk über die Pfalzgrafen von Tübingen verfertigte, einen schlechten, ja einen miserablen Ruf. So schrieb Schmid 1853 über ihn: „Gleich einem Raubritter von der geringsten Art raubte er mit seinen Gesellen in den Höfen des Stifts und brannte die Gebäude nieder."
Schmid spielt auf die, vermutlich wenig blutige Auseinandersetzung Rudolfs mit dem Sindelfinger Martinsstift an. Ein Stift war eine geistliche Institution ähnlich einem Kloster. Wie ein Kloster hatte jedes Stift einen Vogt, der es vor Gefahren schützen sollte. Dies war Rudolfs gleichnamiger Vetter, Mitglied des konkurrierenden Familienzweigs der Tübinger Pfalzgrafen. Über den Besitz des Stifts in Böblingen, Darmsheim und Vaihingen jedoch hatte unser Rudolf die Vogtei oder Schutzherrschaft.
Doch Rudolf schützte dort das Stift Sindelfingen nicht vor Gefahren, sondern war selbst eine Gefahr. Rudolf hatte nämlich in in den genannten Orten zusätzlich auch die Gerichtshoheit. Offenbar wollte er dort nun die herrschaftlichen Rechte des Stifts, genauer gesagt das Recht Abgaben zu erheben, an sich bringen.
Um 1260 begann der Konflikt
In dessen Verlauf brannte der Pfalzgraf bei Sindelfingen gelegene Höfe des Stifts nieder, welche Sedelhöfe genannt wurden. Er grub sogar den Fischwassern des Stifts auf Sindelfinger Gemarkung das Wasser ab oder schöpfte sie aus, um dann die Fische zu fangen. Es ist daher kein Wunder, dass der Pfalzgraf und seine Leute mit dem Kirchenbann und Interdikt belegt wurden. Sie durften nun nicht mehr am Gottesdienst teilnehmen und waren vom kirchlichen Leben ausgeschlossen. 1260 schlossen die Kontrahenten dann Frieden. Rudolf musste versprechen, aus seinen Wäldern Holz für den Wiederaufbau der zerstörten Höfe bereit zu stellen, zukünftig die Sindelfinger Fischteiche in Ruhe zu lassen und in seiner Eigenschaft als Vogt von den Gütern des Stifts keine Abgaben mehr zu erheben. Nach den Einträgen der Chronik des Martinstifts setzte dann übrigens Rudolfs Sohn Gottfried die wenig ehrwürdige Tradition des Hauses fort. 1282 soll er nämlich die Güter des Stifts in Böblingen, Darmsheim und Vaihingen mit Raub überzogen haben.
1271 starb Rudolf
Wann genau dies geschah und wo er begraben wurde, ist nicht überliefert. Wenig ist über ihn bekannt und sicherlich war er keine Lichtgestalt, jedoch unterschied er sich bei seinen Handlungen gegen das Stift nicht von den Verhaltensweisen, wie sie beim damaligen Adel üblich waren. Doch mit dem Ausbau zur Stadt lenkte er Böblingens Entwicklung in neue Bahnen. Dank des Status als pfalzgräflicher Herrschaftsmittelpunkt und Stadt wurde Böblingen in württembergischen Zeiten zu einer Amtsstadt und in der Folge zum Zentrum eines Landkreises und entwickelte sich zu einem heute wichtigen und florierenden Wirtschaftszentrum.