Die Währungsreform von 1948 in Böblingen uns Dagersheim
Im vorliegenden Einblick in die Stadtgeschichte erinnert Stadtarchiv Dr. Christoph Florian an die Durchführung der Währungsreform in Böblingen und Dagersheim vor fast genau 70 Jahren.
In der Nachkriegszeit war die offizielle Währung, die Reichsmark (RM), fast wertlos. Die Preise waren zwar nicht so hoch wie einst bei der großen Inflation zu Beginn der 1920er-Jahre, doch die Menschen im kriegszerstörten Deutschland bekamen für ihr Geld nichts bzw. wenig. Für fast alle Waren benötigte man Bezugsscheine, so bekam man z. B. Lebensmittel nur gegen Vorlage von Lebensmittelmarken. Es entstand ein riesiger Schwarzmarkt auf Tauschbasis, die begehrten Zigaretten wurden dabei zu einer Art Währung. Wegen des mangelnden Vertrauens in die offizielle Währung wurden Waren zurückgehalten. Das dringend benötigte Wirtschaftswachstum blieb so aus.
Neues Geld für eine funktionierende Wirtschaft
Aus diesem Grund regten die Besatzungsmächte USA und Großbritannien die Einführung einer neuen Währung in Deutschland als Grundlage einer funktionierenden Wirtschaft an. Vorbereitet wurde die Währungsreform zunächst durch die vom Wirtschaftsrat der Bizone (amerikanische und britische Besatzungszone) 1947 gegründete „Sonderstelle Geld und Kredit“ unter der Leitung von Ludwig Erhard, dem späteren Wirtschaftsminister und Bundeskanzler der Wirtschaftswunderzeit. Die Anfangs abseits stehende französische Zone schloss sich später dem Projekt an. Als administrative Grundlage wurden in den einzelnen Ländern Landeszentralbanken und als deren Zentralbank wiederum die „Bank Deutscher Länder“ geschaffen. Aufgrund der Konfrontation im beginnenden Kalten Krieg entschied die Sowjetunion, dass ihre Besatzungszone (SBZ) nicht an der Währungsreform teilnehmen sollte.
Aus Gründen der Sicherheit, und um Spekulationen zu verhindern, geschahen die Vorbereitungen zu dem für Sommer 1948 vorgesehenen Währungsumtausch unter größter Geheimhaltung. Von Februar bis April 1948 wurden die in den USA gedruckten Geldscheine im Gesamtwert von 5,7 Milliarden Deutsche Mark (DM), so der Name der neuen Währung, nach Deutschland verschifft und in den einzelnen Zonen verteilt. Trotz der Geheimhaltung erwartete ganz Westdeutschland die Währungsreform und mutmaßte über den Zeitpunkt.
Ein brisantes Schreiben
In diesem Stadium kamen die Gemeinden Böblingen und Dagersheim ins Spiel. Am 17. Juni 1948 erhielten, wie alle Bürgermeister des Kreises, der Böblinger Bürgermeister Wolfgang Brumme und Dagersheims Gemeindeoberhaupt Erich Maier vom Landratsamt einen Brief mit brisantem Inhalt. In dem vertraulichen Schreiben wurde mitgeteilt, dass die neue Währung bereits im Kreis eingetroffen sei. Am Freitag, den 18. Juni sollte das neue Währungsgesetz, also der Währungsumtausch, im Rundfunk bekannt gegeben werden. Am 19. Juni war die Bekanntgabe der Ausführungsbestimmungen, die Auskunft über den Ablauf gaben, durch den Rundfunk geplant. Dann wurde den Kommunen ein straffer Zeitplan diktiert. Die Ausgabe des Bargeldes („Kopf-Betrags“) sollte am Sonntag, den 20. Juni erfolgen. Für die Nacht vom Samstag auf den Sonntag war ein Bereitschaftsdienst einzurichten, der sämtliche Mitarbeiter der Zahl- und Hilfszahlstellen sofort bei Eintreffen des „Transportes“ herbeirufen konnte. Die Auszahlung erfolgte dann von „8.00 bis 20.00 Uhr“. Durch „Orts-Schelle“ und „Plakat-Anschlag“ war bekanntzumachen, dass nur der Haushaltsvorstand das Bargeld abholen durfte.
Kurz vor der Umtauschaktion, am Samstag, den 19. Juni, traf ein weiteres Rundschreiben bei den Bürgermeisterämtern des Landkreises Böblingen ein. Darin wurde die Höhe des Kopfbetrages mitgeteilt; er betrug 40 DM. Dafür waren vom Empfänger der neuen Währung 60 RM bei der Ausgabestelle einzuzahlen. Die Empfänger, die weniger als 60 jedoch mindestens 40 RM einzahlten, bekamen gleichfalls 40 DM. Wer weniger als 40 RM einzahlte, erhielt für jede eingezahlte RM jeweils eine DM.
Die Bürgermeister reagierten umgehend. Schon am 17. Juni benannte Bürgermeister Brumme die Bürger, die ehrenamtlich – aber nicht freiwillig - an dem Umtausch mitzuwirken hatten. Bei Ablehnung ohne wichtigen Grund wurde eine Buße bis zu 1.000 RM und die Aberkennung des Bürgerrechts für sechs Jahre angedroht.
In Dagersheim fand der Umtausch dann im Rathaus und im Kolonialwarengeschäft Maier an der Hauptstraße statt. Für den Schutz waren für jede Ausgabestelle jeweils zwei Teams unter Wachtmeister Rudi Stäbler zuständig. Für den Umtausch hatte Dagersheim insgesamt 76.000 DM in Scheinen erhalten, darunter 3.000 Scheine à 0,50 DM. Laut Abrechnung wurden 71.080 DM ausgegeben und 106.620 RM eingenommen. Die Ausgabe verlief reibungslos. Das Geld auf den Bankkonten wurde dann zum 21. Juni automatisch im Verhältnis 10 RM zu 1 DM auf die neue Währung umgestellt. An diesem Tag verlor auch das alte Geld seinen Wert. Lediglich das Kleingeld bis 1 RM blieb zu einem Zehntel seines bisherigen Wertes weiterhin gültig. Sachwerte und Wertpapiere waren von dem Umtausch nicht betroffen. Wer z. B. viele Aktien besaß und deswegen wohlhabend war, blieb es weiterhin.
Schnell weg mit der Reichsmark
Die Umstellung verursachte in Böblingen auch aus einem weiteren Grund sicherlich Kopfzerbrechen. Denn die Währungsreform bereitete der Stadt finanzielle Einbußen. Die städtischen Guthaben in Höhe von drei Millionen RM wurden nämlich nicht auf 300.000 DM, sondern auf rund 150.000 DM umgerechnet. Andererseits hatte Bürgermeister Brumme geistesgegenwärtig gehandelt und vor dem Stichtag alle möglichen zukünftigen Rechnungen und auch Schulden in der alten Währung bezahlt, um es auf diese Weise loszuwerden. So ging u. a. eine Vorschusszahlung für „Wasserleitungs- und Installationsbedarf“ in Höhe von 100.000 RM an die Firma Reisser. Gewissermaßen eine Flucht in Sachwerte stellt der Erwerb von 800 Anteilen an der Kreisbaugenossenschaft in Höhe von 240.000 RM dar. Der größte Einzelbetrag jedoch wurde für die Schuldentilgung bei der Ammertal-Schönbuchwassergruppe aufgebracht (362.608 RM). Insgesamt gab Brumme rund 707.700 RM für Vorschusszahlungen und Schuldentilgung aus, wodurch Böblingen schuldenfrei wurde. Diese Ausgaben müssen, da noch in RM abrechnet, vor dem 21. Juni stattgefunden haben, die Zustimmung der zuständigen Bauabteilung (Bauausschuss) des Gemeinderats datiert jedoch vom 28. Juni. Brumme hatte also ohne Gemeinderatsbeschluss diese Geschäfte getätigt. Die umstandslose nachträgliche Billigung, deutet jedoch darauf hin, dass er mit Wissen und Zustimmung der maßgeblichen Kräfte im Gemeinderat gehandelt hatte.
Trotz der Kapitalverluste war die Währungsreform das Startsignal zu einer Erfolgsgeschichte für Böblingen. Der Währungsumtausch wurde – wie erhofft – zur Basis des Wirtschaftswunders in Deutschland.