Der lange Weg zur Klinik: Krankenhausdebatten im alten Böblingen
Im vorliegenden Beitrag zum Einblick in die Stadtgeschichte schildert Stadtarchivar Dr. Christoph Florian die Entstehung des Böblinger Krankenhauses im 19. Jahrhundert. Damals gab es in Böblingen eine langanhaltende Debatte darüber, ob das vorhandene Krankenhaus ausreichend sei oder ein Neubau vorzuziehen wäre.
Der folgende Beitrag geht auf die Vorläufer des Krankenhauses ein und zeichnet die Debatte nach. Er basiert zu einem größeren Teil auf den Ausführungen in der von Dr. Ernst Haaf sowie Lilienne Haaf und Cornelia Wenzel im Jahr 2000 über die Geschichte der Böblinger Krankenhäuser herausgegebenen Publikation.
Bader macht den Anfang
Die frühesten Nachrichten über medizinische Versorgung in Böblingen stammen aus dem Mittelalter. Im Jahr 1437 ist erstmals die Badestube (im Bereich des heutigen Elbenplatzes) schriftlich belegbar, ihr Betreiber, der Bader, bot neben hygienischen Anwendungen wie Bädern auch verschiedene medizinische Anwendungen an. Die Kunden konnten sich gegen ein Entgelt schröpfen (Therapie durch Unterdruck auf der Haut), zu Ader gehen oder sich einen „Zahn außzubrechen“ lassen. Wohl Angehörige der seit 1481 in Böblingen nachweisbaren Schwesternsammlung, einer klosterähnlichen Gemeinschaft mit Sitz im Bereich der heutigen Pfarrgasse, widmeten sich wiederum einer Art mobilen Pflege der Kranken und Gebrechlichen. Nach der Auflösung der Schwesternsammlung ging deren Gebäude („Nonnenhaus“) 1554 an die Stadt Böblingen, die ein Armenhaus daraus machte. Es war eine Mischung aus sozialem Wohnheim und Pflegeheim. Allzu lang wohnten die „Armen“ dort allerdings nicht, denn schon für 1587 ist nachweisbar, dass sie in einem Haus in der Oberen Vorstadt untergebracht worden waren. Es ist wohl kein Zufall, dass das betreffende Haus in der Nähe des alten Friedhofs (Bereich Schafgasse) lag. Da im frühneuzeitlichen Böblingen immer wieder der Ausbruch von Seuchen drohte, wollte man die Kranken und Armen vermutlich lieber außerhalb der Stadtmauern wissen.
Das Armenhaus am Herdweg
Wohl im Zusammenhang mit der Verlegung des Friedhofs von der Schafgasse hinaus an den Herdweg 1835/36 wurde dort als städtische Einrichtung auch ein Armenhaus erbaut. Die in der Oberamtsbeschreibung 1850 erwähnte Einrichtung diente zugleich auch der Unterbringung psychisch Kranker. Die Unterbringungssituation dort war verheerend, es gab acht Räume, wobei zwei vom Armenvater (Leiter der Einrichtung) sowie seiner Familie benutzt wurden, ein Raum war für „Krätz- und andere Kranke sowie ‚Irre‘“ vorgesehen. Ein weiteres Zimmer war das „Totenzimmer“ und wurde auch für Leichensektionen genutzt, in weiteren vier jeweils rund zehn Quadratmeter großen Räumen waren Arme untergebracht. 1846 gestaltete sich die Situation folgendermaßen, dass ein Geisteskranker sowie drei Familien mit 13 Kindern in drei Zimmern und sechs Einzelpersonen in dem verbliebenen Raum untergebracht waren!
Kommunalpolitischer Dauerbrenner
Die aufgrund der Missstände um die Mitte des 19. Jahrhunderts aufkommende Diskussion um ein für das ganze Oberamt zuständiges Bezirkskrankenhaus sollte zum kommunalpolitischen Dauerbrenner werden. Die Debatte gestaltete sich auch deshalb so schwierig, weil Krankenhäuser als Einrichtungen für Arme galten, wie ja die Verbindung von Kranken- und Armenhaus zeigt. Wohlhabendere Patienten wurden eher Zuhause behandelt und gepflegt. Die Bereitschaft der Versammlung des Oberamts auf Kosten des Steuerzahlers ein neues Krankenhaus zu bauen, war daher eher gering ausgeprägt. Nach vorangegangenen Erörterungen in der Versammlung des Oberamts (Vorgängerin des Kreistags) wurde 1856 immerhin das Armenhaus baulich erweitert. Zunächst als Verbesserung bei der Unterbringung Geisteskranker gedacht, wurde es in der Folge verstärkt als Krankenhaus genutzt und 1858 taucht dann auch die Bezeichnung Krankenhaus in den Akten auf. Dieses neugeschaffene städtische Krankenhaus zählte 13 Zimmer, wovon zwei für das Personal vorgesehen waren, und bot mindestens 22 Betten Platz. Betreut wurden die Patienten vom Krankenwärter und dessen Familie, die ärztlichen Aufgaben nahm der Oberamtsarzt, damals war es Dr. Wunderlich, wahr. Die Armen bekamen an anderer Stelle eine neue Unterkunft.
Beeindruckende Belegungszahlen
Wie dringend notwendig die Erweiterung gewesen war, zeigen die beachtlichen Belegungszahlen des Berichtsjahrs 1857/58. Es wurden insgesamt 101 Patienten behandelt, davon waren 70 Männer und 31 Frauen. Von ihnen litten u.a. sechs an Syphilis, zwölf an der Krätze, 50 hatten innere Krankheiten und 30 chirurgische Krankheiten (u.a. Knochenbrüche, Schnittverletzungen). Die Erfolgsbilanz war beeindruckend, 94 Kranke konnten geheilt werden, bei fünf verbesserte sich der Zustand und lediglich zwei verstarben.
Verhältnismäßig schnell stellte sich heraus, dass die Kapazität des Krankenhauses nicht ausreichte. Das lag unter anderem auch daran, dass die Bevölkerung im Oberamt und der Stadt Böblingen sich ständig vergrößerte. Jetzt wurde der Bau eines für das ganze Oberamt zuständigen Bezirkskrankenhauses debattiert. Da die Kosten vom Oberamt getragen wurden, gab es durchaus Interesse der Gemeinden zum Standort eines Krankenhauses zu werden. Es kam dabei zu einem Art Wettbewerb zwischen Böblingen und Sindelfingen, denn auch Letzteres wollte Standort eines Bezirkskrankenhauses werden.
Statt für ein Bezirkskrankenhaus entschied 1871 die Versammlung des Oberamts beiden Städten jeweils einen einmaligen Zuschuss für den Bau eines eigenen Krankenhauses in Aussicht zu stellen, was dem Oberamt einen Teil der Bau- sowie die Verwaltungskosten erspart hätte. Daraufhin bekamen wiederum beide Städte wegen der zu erwartenden Kosten Bedenken und es passierte erst einmal nichts. Sindelfingen erhielt dann später sein neues Krankenhaus, als um 1886 auf Privatinitiative hin die „Privatkrankenanstalt Ettle“ eingerichtet wurde. In Böblingen raffte man sich 1876 zu einer neuerlichen baulichen Erweiterung des bestehenden Krankenhauses auf, wobei sich Stadt und Amt die Kosten teilten. Im so neu entstandenen Nebenbau wurden u.a. auch psychisch Kranke untergebracht und er erhielt daher im Volksmund den Namen „Narrenhäusle“. Ansonsten verflossen die Jahre, ohne dass sich eine der beiden Gemeinden, zweifellos aus Furcht vor hohen Bau- und Verwaltungskosten, getraute, ein großes Krankenhausbauprojekt durchzuführen.
Eine knappe Entscheidung
Dann endlich auf massiven Druck des Kreisregierung (Vorgängerin des Regierungspräsidiums) und der Ortskrankenkassen, welche die unzureichende medizinische Versorgung im Oberamt monierten, entschied der Bezirksausschuss im März 1896 mit hauchdünner Mehrheit. Die Stimme Oberamtmanns Gambs gab den Ausschlag zum Bau eines Bezirkskrankenhauses in Böblingen. Wie das knappe Ergebnis zeigt, war der Beschluss alles andere als unumstritten, insbesondere Sindelfinger Kommunalpolitiker hatten zuvor versucht im Oberamt mit der Angst vor „unerschwinglichen Kosten“ Stimmung gegen die geplante „Krankenpflege-Einrichtung“ zu machen.
Am 4. Oktober 1897 wurde das neue, am Maienplatz gelegene, Krankenhaus, für dessen Bau rund 96.000 Mark veranschlagt worden waren, feierlich eröffnet. Man hatte sich u.a. für den Standort entschieden, weil es Erweiterungsmöglichkeiten gab. Zum leitenden Arzt wurde Dr. Andrassy berufen. 1928/29 erhielt das Krankenhaus einen größeren Anbau im Osten. Nach sechs Jahrzehnten wurde aber auch dieser Bau zu klein und ab 1961 gab es die ersten Planungen für einen Krankenhausneubau. Die Bevölkerung im Kreisgebiet war von rund 93.000 Einwohnern vor dem Zweiten Weltkrieg auf knapp 190.000 (1961) angestiegen. Man hatte einem Standort an der Waldburg trotz schlechterer Verkehrsanbindung den Vorzug vor einem Gelände an der B 14 beim Böblinger Freibad gegeben, da er wegen der Höhenlage und der „waldreichen Umgebung ‚klimatisch günstiger‘“ war. Nach viereinhalbjähriger Bauzeit wurde dann am 7. Juli 1967 das neue Kreiskrankenhaus eingeweiht und in Betrieb genommen und leistete lange Jahre hervorragende Dienste.