Die Vorgeschichte unserer deutsch-deutschen Städtepartnerschaft
Böblingens Alt-Oberbürgermeister und Zeitzeuge Alexander Vogelgsang berichtet über die Anfänge der Städtpartnerschaft Böblingens mit Sömmerda anlässlich des 25-jährigen Jubiläums.
Als Folge des Zweiten Weltkriegs war Europa in einen kommunistischen „Ostblock“ und in den „Freien Westen“ geteilt. Längs durch Deutschland verlief eine Grenze, die immer perfekter und bedrohlicher die Menschen in der damaligen DDR von uns in der Bundesrepublik trennte. Ende der 70er und Anfang der 80er Jahre vermittelte die zunehmende, vor allem atomare Aufrüstung uns allen eine tief sitzende Sorge um den Frieden, bei vielen sogar ein Gefühl von Angst. Die Bemühungen um Rüstungsbegrenzung zwischen den jeweiligen Schutzmächten USA und Sowjetunion waren von tiefem Misstrauen geprägt und erfolglos, bis der neue sowjetische Staatschef Michail Gorbatschow, der 1985 ins Amt kam, und Präsident Ronald Reagan nach zähen Verhandlungen im Dezember 1987 das Abkommen über die Vernichtung der Mittelstreckenwaffen unterzeichneten. Weitere Abrüstungsschritte wurden ins Auge gefasst. Das Klima wandelte sich.
Die aufgehellte politische Großwetterlage erleichterte es dem Staatschef der damaligen DDR, Erich Honecker, 1987 seinen Gegenbesuch (zu Bundeskanzler Helmut Schmidts Besuch in der DDR 1981) zu absolvieren. Als er mit Bundeskanzler Helmut Kohl in Bonn die Ehrenformation des Wachbataillons abschritt, wurde für alle sichtbar: Die DDR war faktisch anerkannt, war scheinbar politisch auf Augenhöhe mit der Bundesrepublik. Dies war das DDR-Ziel gewesen. Jetzt konnte Honecker auch bei den menschlichen Erleichterungen etwas großzügiger sein. Dazu halfen wohl auch große DM-Kredite an die DDR. Über eine Million DDR-Bürger unterhalb des Rentenalters durften 1987 Westdeutschland besuchen. Die Sondergenehmigungen für Städtepartnerschaften mehrten sich. Drei waren es 1986, 1987 schon sechzehn. Aber an die 500 westdeutsche Städte standen vor der Tür. Im Jahr 1987 haben wir, gefordert von vielen Bürgerinnen und Bürgern und befürwortet von allen Fraktionen, einen Vorstoß gemacht für die Partnerschaft mit einer Stadt in der DDR. Wir wollten Gräben überwinden helfen und Gemeinsamkeit fördern, so gut es ging.
Sie war wie wir historisch durch den Bauernkrieg 1525, ein rasches Wachstum nach dem Zweiten Weltkrieg und vor allem durch die Computerindustrie gekennzeichnet. Im Ministerium für Innerdeutsche Beziehungen hatte man uns geraten, die Anfrage sowohl bei der Ständigen Vertretung der DDR in Bonn (praktisch die Botschaft) als auch über prominente Mittelsmänner beim Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker vorzubringen. Um Vermittlung haben wir gebeten: Bundeskanzler a.D. Helmut Schmidt (sein Gespräch mit Honecker kam im Herbst 1987 dann aber nicht zustande), Ministerpräsident Lothar Späth und den IG-Metall-Vorsitzenden Franz Steinkühler. Die DDR-Vertretung in Bonn schickte prompt eine Absage. Aber drei Wochen später kam Günter Behnisch, der erste Sekretär eben dieser DDR-Vertretung ins Böblinger Rathaus und überbrachte ein zustimmendes Schreiben des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker. Die Mittelsmänner hatten gewirkt.
Mit Bürgermeister Manfred Hölzer tauschten wir noch vor Weihnachten vorbereitende Briefe aus. Später habe ich ihn als vorsichtig-pragmatischen und durchaus knitzen Kollegen schätzen gelernt. Anfang Februar 1988 besuchte uns eine erste Sömmersche Delegation, um uns zu beschnuppern. Sie waren damals noch neun Stunden unterwegs gewesen.
Ende März reiste ich mit einigen Gemeinderäten, Waltraud Gmelin (CDU), Hermann Rothfuß (Freie Wähler), Richard Schüle (SPD) und Claudius Ziehr (Grüne) nach Sömmerda.
Gleich am Ankunftstag und durch eine lange Nacht hindurch erarbeiteten und erkämpften wir einen einvernehmlichen Partnerschaftsvertrag. Natürlich war da manches verkrampft und gestelzt, aber es war ein tragbarer Kompromiss. Die 34. deutsch-deutsche Städtepartnerschaft wurde dann im Mai 1988 in Böblingen und im Juni in Sömmerda durch unseren Gemeinderat und die Sömmersche Stadtverordnetenversammlung besiegelt.
Keine zwei Jahre später war Deutschland mit Zustimmung aller vier ehemaligen Siegermächte wieder vereint. Es gab einen neuen Partnerschaftsvertrag und einen neuen, freien Schwung in unserer Beziehung zu Sömmerda. Ich wünsche alles Gute weiterhin!
Alexander Vogelgsang