Böblingen im Jahr 1876 - eine kleine historische Statistik

Heutzutage gibt es einige bestimmte Vorstellungen über die Eheschließung in früheren Zeiten. Danach wurde früher ganz jung geheiratet, wobei der Mann immer älter als die Frau war. Die damaligen Zeitgenossen verließen auch nicht ihre Heimat. Bei der Eheschließung blieb man unter sich und heiratete einen Partner aus dem gleichen Ort und natürlich mit gleicher Konfession.

War das wirklich so? Hier soll ein Blick in das Böblinger Eheregister von 1876 weiterhelfen, das alle in jenem Jahr in Böblingen geschlossenen Ehen verzeichnet. Es gehört zu den älteren Standesamtsunterlagen, die sich im Stadtarchiv befinden.

Bismarck und das Eheregister

Warum gerade dieses Register? Es ist das Erste seiner Art. Davor kümmerten sich die evangelischen und katholischen Ortsgeistlichen um das Personenstandswesen, indem sie Taufen, in späteren Zeiten auch Geburten sowie Hochzeiten und Beerdigungen in besonderen Registern, den Kirchenbüchern, eintrugen. Nach der Auseinandersetzung zwischen der deutschen Reichsregierung unter Otto von Bismarck und der katholischen Kirche (Kulturkampf) wurde das zivile (staatliche) Personenstandswesen eingeführt, um den Einfluss der Kirchen zu mindern.

Das Heirath-Hauptregister vom Jahr 1876

Von 1876 an beurkundete die Gemeindeverwaltung Geburt und Tod, während für die Heirat sogar eine eigene Zeremonie eingeführt wurde, die Zivilehe. Da die seither angelegten zivilen Personenstandsregister einheitlich geführt wurden, lassen sie sich grundsätzlich gut auswerten. Da hier nur das Register eines Jahres betrachtet wird, ist die statistische Aussagekraft natürlich begrenzt. Zudem konnte sich das Eheschließungsverhalten je nach Region unterscheiden. Dennoch ermöglicht das Eheregister einen spannenden Einblick in das soziale Leben im Jahr 1876.


37 Eheschließungen im Jahr 1876

Böblingen war damals ein aufstrebendes Landstädtchen mit rund 4.100 Einwohnern. Das Eheregister zählt 37 in Böblingen geschlossene Ehen auf. Die erste wurde am 20. Januar und die letzte am 19. Dezember geschlossen. Der durchschnittliche Böblinger traute sich damals im Alter von rund 29 Jahren. Bei den Herren betrug das Durchschnittsalter 30 und bei den Damen 28 Jahre. Der statistische Altersunterschied zwischen Mann und Frau machte vier Jahre aus.

Bei 23 Eheschließungen (62%) war der Bräutigam älter. In diesen Fällen betrug der Unterschied im Schnitt fünf Jahre. Die größte einzelne Altersdifferenz machte 19 Jahre aus. Es handelte sich dabei um den Ehebund zwischen dem 54-jährigen Zimmermann Heinrich Friedrich Mehl und der 35-jährigen Regine Lebsanft. Doch war dies eine Ausnahme. Im Allgemeinen war der Altersunterschied wesentlich geringer.

Junge Ehemänner und mobile Bräute

Der Eintrag zu Karoline Friederike Schmid

Bei einem Drittel der Eheverbindungen war die Braut älter. Durchschnittlich lagen die frischgebackenen Eheleute bei diesen Ehen drei Jahre auseinander. Spitzenreiterin war hier die 32-jährige Karoline Friedrike Schmid, die den 23-jährigen Steinhauer (Steinmetz) Christian Gustav Rommel am 24. August in den Hafen der Ehe führte.

Betrachtet man die Heimatorte der Eheleute, ergibt sich folgendes Bild: Von den Ehemännern wurden 25 (68%) in der Stadt Böblingen, einer in einem Amtsort und immerhin elf außerhalb des Oberamts geboren. Rund 90% der Bräutigame hatten bei der Eheschließung ihren Wohnsitz in Böblingen. Bei den Frauen gibt es wieder eine Überraschung. Nur 49% aller Bräute waren gebürtig aus Böblingen, 16% wurden in einem der Böblinger Amtsorte und 35% sogar außerhalb des Oberamts Böblingen geboren. Eine junge Braut war sogar gebürtig aus Sindelfingen.

Überhaupt scheint die Damenwelt mobiler gewesen zu sein. Insgesamt 26 Bräute (70%) hatten ihren Wohnsitz in der Stadt Böblingen. Von den elf außerhalb der Stadt lebenden Bräuten hatte die in Frankfurt am Main wohnende und aus Nufringen gebürtige Anne Marie Zipperer den am weitesten entfernten Wohnort.

Wie hielten es die jungen Eheleute mit der Konfession?

Hier ist das Ergebnis eindeutig. Von 74 Brautleuten waren insgesamt 72 evangelisch und bestätigen die Vermutung, dass Böblingen damals eine evangelische Stadt war. Nur zwei gehörten dem katholischen Bekenntnis an, beide waren Zugezogene. Dies war die aus Obernheim (heute Zollernalbkreis) gebürtige und in Böblingen wohnende Barbara Moser, die mit dem Taglöhner Jakob Eissler aus Willmandingen (heute Landkreis Reutlingen) die Ringe tauschte. Dann gab es noch den aus einem kleinen Weiler bei Flochberg (Ortsteil von Bopfingen) gebürtigen Martin Schill, der katholisch war und die evangelische Böblingerin Karoline Rosine Leyerle ehelichte.

Die Liste der Bräutigame liefert auch wichtige Informationen über die Wirtschafts- und Sozialstruktur der Gemeinde. Unter den männlichen Brautleuten gab es zwar keinen Akademiker, dafür hatten die meisten (29) nachweislich eine Berufsausbildung als Handwerker. Bei den Frauen wurde kein Beruf vermerkt, obwohl einige sicherlich als Dienstpersonal oder Haushälterinnen arbeiteten.

Der "Wonnemonat" Februar

Welcher war der bevorzugte Hochzeitsmonat? Überraschenderweise führt hier der Februar. Insgesamt neun Paare wagten in jenem Monat den Schritt in eine neue Zukunft. Der Wonnemonat Mai mit vier Eheschließungen steht lediglich auf dem dritten Platz, vor ihm rangiert der April mit fünf Vermählungen.

Warum gerade der Februar so beliebt war, hat zumindest teilweise andere Gründe als das Wetter. In einigen Fällen hatte man es vielmehr eilig mit dem Termin. Den bei vier von sieben Ehepaaren, die im Februar geheiratet hatten, stellte sich – wie ein Blick in das Geburtenregister zeigt – in überraschend kurzer Zeit Nachwuchs ein. Am geringsten war der Abstand beim Ehepaar Schray. Am 29. Februar hatten die beiden die Ringe getauscht und schon am 2. April war der Nachwuchs mit dem schönen Namen Emilie Marie Rosa da. Es ist zu vermuteten, dass auch in anderen Fällen die Ehe schon einige Zeit vor ihrer feierlichen Schließung auf dem Rathaus und in der Kirche vollzogen wurde.

Wie die Mitmenschen damals schwangere oder ältere Bräute oder gar solche, die beides zugleich waren, beurteilten, lässt sich nicht anhand des Eheregisters nachvollziehen. Doch es beweist, dass die Lebensentwürfe in früheren Zeiten vielfältiger sein konnten, als man sich heute oft vorstellt.

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