Ein eiskaltes Vergnügen – die Berner Seen
In diesem Artikel befasst sich Stadtarchivar Dr. Christoph Florian mit einem „erfrischenden“ Thema, nämlich den längst verschwundenen Berner Seen oder „Bernerschen Seen“, wie sie bis zur Zeit des Ersten Weltkriegs auch genannt wurden, und ihren verschiedenen Funktionen als Eislieferanten und Freibad.
Wenn im Zusammenhang mit Böblingen von Seen die Rede ist, sind meist der Obere und der Untere See gemeint. Ältere Böblinger kennen jedoch noch andere Seen, die es längst nicht mehr gibt. Diese als "Berner Seen" bezeichneten Gewässer waren keine Naturseen, sondern wurden von Menschenhand zum Zweck der Eisgewinnung geschaffen.
Der Hintergrund dafür war die sich seit etwa 1800 stark ausbreitende Nutzung von Natureis. Die für die wachsenden Städte benötigten Lebensmittel mussten laut dem Artikel "Eiswerk" in Wikipedia beim Transport und bei der Lagerung gekühlt werden. Weil es noch keine Kältemaschinen gab, verwendete man eben Natureis. Im Winter wurde das Eis Gewässern entnommen und an Abnehmer wie Gaststätten oder Brauereien ausgeliefert.
Die Seen in Böblingen wurden von der Stuttgarter Firma „Eiswerke Berner“ angelegt
Das Unternehmen ließ 1877 im Bereich des heutigen Baumovals drei hintereinander liegende Teiche oder Seen graben. Im Sommer lagen die Seen trocken, erst ab Herbst wurden sie üblicherweise mit Wasser gefüllt. Ihr Wasser erhielten sie aus einer privaten Quelle der Firma sowie aus dem Furtgraben (heute Langgraben) und dem Murkenbach.
Über die Größe der Seen ist man recht genau informiert. Der obere See hatte eine Fläche von 2.410 m2, der mittlere See eine Fläche von 5.330 m2 und der untere See einen Flächengehalt von 10.000 m2. Zusammen also 17.740 m2 oder rund eineinhalb Hektar.
Der obere „Eissee“, wie es in einer Beschreibung von 1914 heißt, bekam sein Wasser über Röhren von der firmeneigenen Quelle und vom Furtgraben. Der obere See war mit dem mittleren See und dieser wiederum mit dem unteren See gleichfalls durch Röhren verbunden, wobei letzterer zusätzlich Wasser vom Murkenbach erhielt.
Wenn das Eis im Winter die gewünschte Beschaffenheit bekommen hatte, fing man mit dem „eisen“ an. Mit der Spitzhacke wurde das Eis heraus gebrochen. Das nachfließende Wasser füllte dann die in den Seen entstandenen Lücken und es bildete sich neues Eis. In den 1930er Jahren führte ein Herr Eisele zusammen mit zwei Mitarbeitern diese Arbeiten durch.
Das gebrochene Eis wurde in Eiskeller in der Schönaicher Straße gebracht
Die Firma Berner besaß einen Gebäudekomplex auf beiden Seiten der Schönaicher Straße im Bereich der Hausnummern 11, 13, 15 und 18. Im Jahr 1938 gehörten neben zwei Wohnhäusern auch drei Eiskeller mit der Gesamtfläche von 598 m2 dazu, wobei der größte beeindruckende 294 m2 umfasste. In den Gebäuden Nr. 15 und 18 gab es dann jeweils zum Transport des Eises einen sogenannten Eisaufzug.
Als in den 1930er Jahren die Natureisherstellung unbedeutend wurde, verlor das Unternehmen das Interesse an seinen Böblinger Standort. Es verkaufte daher im Dezember 1938 die Gebäude und Grundstücke an der Schönaicher Straße für die Summe von 56.000 Reichsmark an die Stadt Böblingen. Der von der Firma Berner gewünschte Verkauf der Seen an die Stadt kam nicht zu Stande.
Für die funktionslos gewordenen Seen fand sich bald ein anderer Zweck
Nachdem die Bemühungen der Stadt Böblingen, am Oberen See ein Freibad einzurichten, gescheitert waren, wurden die "Berner Seen" als Ersatz herangezogen. Daher wurde 1940 vermutlich der mittlere See zu einer „behelfsmässigen Badegelegenheit“ umgebaut. Über eine Wasserröhre wurde zusätzliches Wasser herangeführt. Für die Besucher legte man eine Zufahrt an. Da das Wasser des neuen Freibads nicht sehr tief war, konnten auch Nichtschwimmer ohne Furcht ins kühle Nass springen.
Damit alles seine richtige Ordnung hatte, entschied am 19. Juli 1940, nach der Beratung mit den Ratsherrn Bürgermeister Röhm - das Abstimmungsrecht der Gemeinderäte war in der nationalsozialistischen Gemeindeverfassung abgeschafft - einen „Auskleideraum für die Mädchen“ errichten zu lassen. Auch sollte der „Spiel- und Liegeplatz“ eingeschrankt werden.
Für jedes Jahr musste der See für den Badebetrieb neu hergerichtet werden, indem man große Steine entfernte, die Abschrankung in Ordnung brachte und Sand einbrachte. Auch noch nach dem Krieg wurde der See als Freibad benutzt.
1951 gab es einen Vorfall, der die Polizei auf den Plan rief
Durch unbekannte Hand waren die Seen geöffnet worden und einige Fische verendeten. Schnell wurde der Verursacher ausfindig gemacht, doch zugleich stellte sich heraus, dass er das Recht zur Seenöffnung gehabt hatte. Der Tod der Fische blieb so ungesühnt.
Schließlich kaufte die Stadt Böblingen im Jahr 1952 das sich noch im Besitz der Firma Berner befindliche Gelände mit den "Berner Seen". Die Seen wurden aufgefüllt und der 1958 in Betrieb genommene städtische Schlachthof darauf errichtet.
Dies war nicht das Ende der bewegten Geschichte des Areals
Im Zuge der Arbeiten zur Landesgartenschau 1996 wurde der Schlachthof abgerissen, der Platz stattdessen mit 360 Pappeln bepflanzt und somit wieder der Natur zurückgegeben. Dies war die Geburtsstunde des heutigen Baumovals. Neben seiner Funktion als Festgelände dient das Oval - wie einst der Badesee – auch als Freizeitgelände.
Die Redaktion bedankt sich herzlich bei Dorrit Halverscheidt, für die freundlich zur Verfügung gestellten Informationen für diesen Artikel.